Am 24. und 25. April 1915 wurden – unter dem Vorwand einer armenischen Revolte in der Stadt Van – in Istanbul 235 prominente Armenier verhaftet und später ermordet. Die staatliche Gewalttat gegen armenische Führungspersönlichkeiten gilt als Beginn des Völkermords, bei dem zwischen 800 000 und 1,5 Millionen Armenier ums Leben kamen. Die 1909 an die Macht gelangten Jungtürken verfolgten das Ziel, aus dem geschwächten osmanischen Reich eine Grossmacht zu errichten. Die Jungtürken verbreiteten im damaligen Vielvölkerstaat zunehmend nationalistisches Gedankengut und gingen gegen die Minderheiten vor.
Die minutiös geplanten Vertreibungen der Armenier hatten den Zweck, «das Problem endgültig zu eliminieren», wie sich Innenminister Talaat Pascha 1915 ausdrückte. Die Deportationen waren nicht Umsiedlungen, sondern monatelange Todesmärsche, die in die Konzentrationslager Deir ez-Zor und Raʾs al-ʿAin in der syrischen Wüste führten.
Vergessen und Leugnung
Nach dem Genozid 1919 wurden die Hauptschuldigen des Völkermords, Talaat und Enver Pascha, wegen ihrer Taten zum Tode verurteilt – die Urteile wurden aber nie vollstreckt.
1920 regelte der Vertrag von Sèvres zwischen der Entente und dem Osmanischen Reich, dass in den östlichen Provinzen der Türkei ein eigener Staat Armenien entstehen soll. Der Vertrag wurde nie umgesetzt. Im Friedensvertrag von Lausanne 1923 revidierte die Türkei den Vertrag von Sèvres zu ihren Gunsten. Die Armenier verloren den Anspruch auf einen eigenen Staat – damit begann das Vergessen der armenischen Frage.
Die Türkei ihrerseits startete eine beispiellose Leugnungs-Strategie, die bis heute andauert. Die offizielle Haltung der Türkei lautet bis heute, dass bei allgemeinen Kriegswirren «nur» 300’000 Armenier umgekommen seien und es keinen Vernichtungsplan gegeben habe. Eigens geschaffene Institute in Ankara und Washington sind damit beschäftigt, den Völkermord gezielt zu leugnen.
Anerkennungs-Bestrebungen
Verschiedene Länder haben den Völkermord anerkannt, dazu gehören Frankreich, die Niederlande, Russland und Kanada. Auch der Schweizer Nationalrat (nicht aber die Regierung) hat die Gräueltaten gemäss der UNO-Völkermordkonvention von 1948 als Völkermord anerkannt. Die offizielle Türkei reagiert auf Bestrebungen nach Anerkennung jeweils mit geharnischten Reaktionen.
Perincek-Prozess
2015 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschieden, dass der türkische Politiker Dogu Perinçek bei seinen Auftritte in der Schweiz, wo er jeweils den Völkermord leugnete, das Recht auf Meinungsäusserungsfreiheit nicht verletzt hat.
Bewegung in der Türkei
Nachdem am 19. Januar 2007 der Gründer der armenisch-türkischen Wochenzeitung Agos, Harnt Dink, in Istanbul von einem nationalistischen Attentäter erschossen wird, beginnt in der Türkei eine neue Bewegung: «Wir alle sind Hrant Dink – wir alle sind Armenier» skandieren zehntausende Türken und Armenier. In ihrem Buch erzählte die türkische Autorin Fethiye Cetin, Anwältin der hinterbliebenen Familie Dink, von ihrer Grossmutter, die ihrer Enkelin erst kurz vor ihrem Tod anvertraute, dass sie als armenische Christin geboren wurde. Das Buch wurde in der Türkei zum Bestseller und löste eine Flut ähnlicher Bekenntnisse aus.